
Zungenbändchen und das gestillte Baby
Diana West, BA, IBCLC übersetzt von Hansi Hubinger-Kasser
Foto: Selina Patchett
Identifizierung und Behandlung: Zungenbändchen und das gestillte Baby
Viele frisch gebackene Mütter hören Horrorgeschichten darüber wie schmerzhaft Stillen sein kann. Aber selbstverständlich sollte es überhaupt nicht schmerzen.
Brustwarzen müssen nicht „abgehärtet“ werden und jeder Schmerz, der über eine anfängliche Schmerzempfindlichkeit hinausgeht, bedeutet, dass etwas nicht stimmt.
Aber wenn diese Brustwarzen wirklich zu schmerzen beginnen, denken die meisten Mütter, dass sie etwas falsch machen. Sie bitten Stillexperten das Andocken zu kontrollieren. Sie holen sich Informationen über das Andocken und Stillpositionen aus Büchern und Webseiten. Und oft funktioniert es: eine bessere Positionierung des Babys und ein verbessertes Andocken löst das Problem und sie können schmerzfrei stillen.
Aber manchmal ist das nicht genug. Egal was diese Mütter versuchen, das Andocken ist noch immer schmerzhaft. Und wenn das Andocken weh tut, ist die Milchmenge, die das Baby bekommt, ebenfalls reduziert, weil es nicht gut genug angedockt ist. Manchmal fühlen Mütter überhaupt keinen Schmerz, weil ihre Brustwarzen gut in den Mund des Babys passen, aber das Baby kann trotzdem die Milch nur schlecht entnehmen.
Also was geht in diesen Situationen vor? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Zungenbewegung des Babys durch einen Gewebestrang namens Frenum oder Frenulum, der die Zunge zu eng an die Basis des Mundes bindet, behindert wird. Wenn ein Baby dieses stramme Gewebeband unter seiner Zunge hat, nennt man es „verkürztes Zungenbändchen“ oder Ankyloglosson.
Verkürzte Zungenbändchen betreffen 3-10% aller Babys. (1,2) Während wir mehr darüber lernen, diese akkurat zu identifizieren, beginnen manche Stillberaterinnen zu vermuten, dass sogar noch mehr Babys betroffen sind.
Ein verkürztes Zungenbändchen behindert die Bewegung
Eine Zunge zu haben, die an die Basis des Mundes gebunden ist, kann es einem Baby schwer machen zu stillen, weil es mehr Bewegungen der Zunge braucht um Milch effektiv zu entnehmen. Die Zunge muss sich bequem über die Unterlippe strecken lassen, damit ein adequater Anteil der Brust zum Andocken erfasst werden kann. Die Seiten der Zunge müssen die Brust umschließen, damit sie im Mund stabilisiert wird. Die Zungenspitze muss höher als bis zur Mitte gehoben werden können, wenn der Mund geöffnet ist und der hintere Teil der Zunge muss sich heben und dann senken um das Vakuum zu erzeugen, dass die Milch herauszieht. (3)
Es gibt mehrere Warnsignale, dass ein Baby vielleicht ein verkürztes Zungenbändchen hat. Eines der offensichtlichsten ist ein Problem beim Andocken an sich oder beim Aufrechterhalten des Saugschlusses. Es könnten auch Saugblasen auf den Lippen sein (verursacht durch die Reibung wegen Benutzung der Lippen zum Festhalten der Brust, wenn es die Zunge nicht kann), Schmerzen während des Andockens, klickende oder knallende Geräusche während des Stillens durch die Pausen beim Saugen, eine andauernd wunde oder blasige Brustwarze oder eine abgeflachte Brustwarze, wenn das Baby abdockt.
Es könnten sein: ein hoher und schmaler Gaumen (weil die Zunge nicht so hoch gehoben werden kann, um ihn zu weiten), eine Zunge, die sich nach unten einrollt oder die eine flache Vorderkante hat, wenn sie herausgestreckt wird, eine Zunge, die sich nicht hebt, wenn das Baby weint oder eine Zunge mit einer Falte in der Mitte. Es könnte auch eine Grube in der Mitte der Zunge sein, wenn sie gehoben wird oder das Baby weint, weil das Frenulum das Zentrum der Zunge nach unten zieht.
Das Baby kann Schwierigkeiten haben: beim zum Andocken ausreichend weitem Öffnen des Mundes, weil das straffe Frenulum Zug auf das Zungenbein im Hals, das die Wurzel der Zunge stützt, ausübt, welches wiederum an den Kiefermuskeln zerrt. Die Zunge kann vor Überanstrengung durch das Arbeiten gegen den Zug des Frenulums zittern. Eventuell beendet das Baby die Mahlzeit zu früh bevor der Magen voll ist, weil es keine Energie mehr hat, und wacht 20 Minuten später wieder hungrig auf, oder es stillt wirklich lange Zeitspannen um genug Milch zu bekommen. (4, 5, 6)
Ein Frenulum kann an der Zungenunterseite irgendwo von der Basis bis zur Spitze sitzen und die Zunge mit dem Mundboden irgendwo zwischen der Basis der Zunge und Babys Kauleiste verbinden. Es kann wie ein dünnes, dehnbares Netz, das beinahe transparent ist, aussehen oder wie ein dickes Seil oder ein Knoten. Ein submuköses Frenulum (unter der Schleimhaut) verläuft unter dem Mundboden, zieht häufig den Boden hoch, wenn das Baby versucht die Zunge zu heben wie ein Seil, das die Mitte eines Teppichs hochzieht. Jede Art von straffem Zungenbändchen kann zu Müdigkeit beim Stillen, schlechtem Milchtransfer, langsamer Gewichtszunahme und schlussendlich zu geringer Milchproduktion führen, wenn das Baby die Milch nicht effektiv aus der Brust entnehmen kann. (7)
Weil die zu straffen Zungenbändchen in all diesen Variationen vorkommen können, hängt der Effekt, den das Frenulum auf das Saugen des Babys hat, davon ab, wo dieses befestigt ist. Wenn die Verbindung nahe oder direkt an der Zungenspitze ist, können nur die Seiten der Zunge hoch, wenn das Baby versucht, die Zunge zu heben, wobei sich manchmal die charakteristische Herzform bildet. Möglicherweise ist eine Einkerbung an der Spitze sichtbar, wenn das Baby versucht die Zunge rauszustrecken oder die Zungenspitze rollt sich nach unten. Wenn das Frenulum eng mit der Zungenbasis verbunden ist, kann sich die Zungenspitze höher heben, aber noch immer nicht so, wie sie sollte, während der hintere Teil sich nicht ausreichend heben und senken kann um ein gutes Vakuum zu erzeugen. Daraus folgt, dass ein Frenulum, das sehr stark an der Zungenbasis hängt, eventuell noch problematischer ist. (8)
Ein zu straffes Zungenbändchen erkennen
Viele Ärzte und Kinderschwestern erkennen zu straffe Zungenbändchen, wenn diese an der Zungenspitze sitzen, vor allem wenn dieses die Mitte der Zunge in eine Einkerbung oder eine Herzform zieht. Aber nicht alle verstehen, dass ein Frenulum auch gleich nach der Zungenspitze oder in der Mitte oder an der Basis sitzen kann. Und unglücklicherweise sind die Zungenbändchen, die an der Basis sitzen, am schwierigsten zu sehen und verursachen manchmal die schlimmsten Probleme.
Manche weniger erfahrene medizinische Fachleute anerkennen zwar den Einfluss des strammen Zungenbändchens auf das Stillen, schlagen aber vor, dass abgewartet wird, um zu sehen, ob sich das Frenulum dehnt oder von selber reißt. Das passiert wahrscheinlich nicht genug oder überhaupt nicht, was der Grund ist, warum es auch ältere Personen mit strammen Zungenbändchen gibt. Es stimmt, dass der Mund größer wird, wenn das Baby wächst, so dass es mehr Brustgewebe erfassen und mehr Milch entleeren kann, aber während die Mutter auf das Wachstum wartet, steht ihre Milchproduktion auf dem Spiel sowie die Wahrscheinlichkeit des erfolgreichen Stillens. Auch Flaschenfüttern kann das Problem nicht unbedingt lösen, weil Babys mit strammen Zungenbändchen auch oft Schwierigkeiten beim Trinken aus der Flasche haben. Und es gibt potentielle Probleme über das Füttern hinaus: ein unbehandeltes zu straffes Zungenbändchen kann später zu Schwierigkeiten mit den Zähnen, dem Sprechen, dem Putzen der Zähne mit der Zunge, dem Schlucken von Tabletten, dem Lecken von Eistüten und dem Küssen führen. (9)
Und es gibt potentielle Probleme über das Füttern hinaus: ein unbehandeltes zu straffes Zungenbändchen kann später zu Schwierigkeiten mit den Zähnen, dem Sprechen, dem Putzen der Zähne mit der Zunge, dem Schlucken von Tabletten, dem Lecken von Eistüten und dem Küssen führen.
Behandlung (Frenotomie/Frenuloplastik)
Die häufigste Behandlung des straffen Zungenbändchens ist eine Operation namens Frenotomie oder Frenuloplastik, bei der mittels chirurgischer Schere oder Laser die Membran geteilt und die Zunge befreit wird. In den meisten Fällen ist ein Frenulum, das im vorderen Teil der Zunge sitzt, sehr dünn, mit wenigen Blutgefäßen oder Nerven darin, daher kommt es kaum zu Blutungen oder Schmerzen bei der Durchtrennung. Ein straffes Frenulum an der Basis der Zunge ist dicker und blutet wahrscheinlich mehr.
Die Operation selbst dauert nur wenige Sekunden; das Baby fühlt ein Stechen, aber generell ist eine Frenotomie nicht traumatischer als eine Impfung und das Baby kann normalerweise innerhalb einer Minute zum Beruhigen an die Brust gelegt werden.
Die Frenotomie ist sicher, hat selten Komplikationen und ist sehr effektiv, wenn sie korrekt durchgeführt wird. Nach der Prozedur schlägt der Chirurg oder die Laktationsberaterin eventuell Dehnungsübungen vor, damit das Baby effektive Zungenbewegungen wieder erlernt. (10, 11, 12, 13, 14, 15)
Bei der Diskussion der Möglichkeit eines zu straffen Zungenbändchens mit dem/r Kinderarzt/ärztin, kann es hilfreich sein ihn oder sie an Supporting Sucking Skills in Breastfeeding Infants von Catherine Watson Genna und Tongue-tie: Morphogenesis, Impact, Assessment and Treatment von Alison Hazelbaker zu verweisen.
Wenn dein Arzt der Behandlung sehr widerwillig gegenüber steht, aber du denkst, dass eine Behandlung dir und deinem Baby helfen würde, zögere nicht einen anderen Arzt, der mit der Diagnose und Behandlung von zu strammen Zungenbändchen vertraut ist, zu konsultieren. Stillberaterinnen und Laktationsberaterinnen wissen normalerweise welche lokalen Gesundheitsdienstleister, oft HNO-Spezialisten, gewillt sind, zu straffe Zungenbändchen zu beurteilen und zu behandeln oder helfen können eine Liste mit Chirurgen zu finden, die auf das Beurteilen und Behandeln von hinten liegenden, straffen Zungenbändchen spezialisiert sind.
Dein Baby kann etwas Unbehagen beim Stillen für eine Woche oder zehn Tage nach der Behandlung verspüren. Babys bewegen ihre Zungen vorsichtig, während die Unterseite heilt, und es dauert eine Weile bis sie lernen, wie man die Zunge effektiver bewegt, und bis die Muskeln, die bisher nicht genutzt wurden, gestärkt sind. Das Stillen wird möglicherweise erst besser, wenn die Zunge komplett verheilt ist und das Baby gelernt hat, sie zu benutzen. Wenn es zwei Wochen nach der Behandlung noch nicht besser ist, wende dich an den Chirurgen. Manchmal ist das Frenulum nicht tief genug durchtrennt und eine zweite Operation ist notwendig.
Bis die Frenotomie durchgeführt werden kann oder vor allem wenn sie aus irgendeinem Grund nicht gemacht wird, kann es notwendig sein nach den Stillmahlzeiten abzupumpen um gründliches Entleeren sicherzustellen und notwendige Zusatznahrung bereitzustellen.
Obwohl ein zu straffes Zungenbändchen ein sehr häufiger Grund für Stillprobleme ist, ist es auch eines der am einfachsten zu lösenden Stillprobleme. Unzähligen Babys wurden die Zungenbändchen durchtrennt und sie konnten danach problemlos weiterstillen. In so gut wie jeder Region gibt es Mütter, deren Babys behandelt worden sind und die gerne über ihre Erfahrungen reden. Falls nicht, sind auch viele online. Sich mit diesen Müttern zu vernetzen kann sehr beruhigend sein und ein großartige Quelle für weitere Informationen.
Das Murphy Manöver
Wenn das Baby Probleme beim Stillen hat und du nicht sicher bist, ob es ein zu straffes Zungenbändchen hat, schlägt der Kindarzt Dr. James Murphy, San Diego, USA, vor, deinen kleinen Finger zur Zungenbasis auf der einen Seite zu schieben und zur anderen Seite zu streichen, um herauszufinden, was du fühlst.
Wenn du kaum mehr Widerstand als eine kleine „Bodenschwelle“ spürst, gibt es ziemlich sicher kein Problem. Wenn du eine große „Bodenschwelle“ fühlst, die du mit etwas Anstrengung überwinden kannst, ist es wahrscheinlich ein „Baumstamm“-Frenulum, ein kurzes, breites Gewebeband, das im Mundboden verborgen und mit der Zungenbasis verbunden ist. Es schränkt üblicherweise, aber nicht immer, die Zungenbewegungen ein und verursacht Andockschwierigkeiten, auch wenn es so aussieht, als wäre da nicht genug um ein Problem zu verursachen.
Wenn du mit dem Finger nicht hinüberstreichen kannst, ohne ihn etwas herauszuziehen um „über den Zaun zu springen“, ist das Frenulum ein fasriges Band, das näher an der Spitze der Zunge angewachsen ist Es ist möglicherweise unter dem Mundboden verborgen oder als externes Netz sichtbar.
Wenn du einen dünnen weißen Streifen zum Mundboden hinunterlaufen siehst, der sich wie ein Draht anfühlt, erstreckt sich dieser normalerweise bis zur Zungenspitze wie eine Saite. Wenn man den Finger in dieses „Klaviersaiten“-Frenulum stößt, bewirkt das oft, dass sich die Zungenspitze nach unten neigt und sich in der Mitte faltet.
Baumstamm-, Zaun- und Klaviersaiten-Frenulum sind Warnsignale für eine signifikante Zungenfunktionsbeeinträchtigung.
Zungenbändchen-Quellen
Quick Help, Identification & Research
Referenzen
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- Forlenza GP, Paradise Black NM, McNamara EG et al Ankyloglossia, exclusive breastfeeding, and failure to thrive Pediatrics 2010 Jun; 125(6);e1500-4
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- Srinivasan, A, Dobrich, C, et al Ankyloglossia in breastfeeding infants: The effect of frenotomy on maternal nipple pain and latch Breastfeeding Med 2006; 1:216
- Ballard, JL et al Ankyloglossia: assessment, incidence, and effect of frenuloplasty on the breastfeeding dyad Pediatrics 2002; 110(5):e63
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- Wallace, H and Clarke, S Tongue-tie division in infants with breast feeding difficulties Int J Pediat Otorhinolaryngol 2006; 70:1257
Diana West, BA, IBCLC, ist LLL Stillberaterin und Co-Autorin der 8. Ausgabe von La Leche League Internationals The Womanly Art of Breastfeeding. Sie ist Co-Autorin mit Lisa Marasco, MA, IBCLC, von The Breastfeeding Mother’s Guide to Making More Milk und mit Dr. Elliot Hirsch von Breastfeeding After Breast and Nipple Procedures. Sie ist außerdem die Autorin von Defining Your Own Success: Breastfeeding After Breast Reduction Surgery. Sie lebt mit ihren drei Söhnen und ihrem Ehemann, Brad, in den malerischen Bergen von West New Jersey.