
Übergewichtige Frauen können stillen
Leigh Anne O’Connor, IBCLC, New York City, USA
Übersetzung: Christine Arneitz, LLL-Beraterin, Österreich
Foto: Michèlle Du Toit
Adipositas und Stillen

Laut dem National Center for Biotechnology Information ist fast jede zweite Amerikanerin im gebärfähigen Alter übergewichtig oder adipös. Ca. 24% der 20-44 jährigen sind übergewichtig, 23% adipös (1)
Kann Stillen Adipositas verhindern? Erhöht das Nichtstillen das Risiko von Adipositas? Erschwert Übergewicht das Stillen? Übergewichtige Frauen werden in der heutigen Kultur vielfach diskriminiert. Man nimmt an, dass übergewichtige Frauen nicht stillen können bzw. nicht wollen. Aber das stimmt einfach nicht!
Stillen kann für viele Mütter eine Herausforderung bedeuten. Übergewichtige Mütter haben ihre eigenen Herausforderungen, um ihre Stillziele zu erreichen. Aber das bedeutet nicht, dass Stillen für Mütter mit Übergrößen unmöglich ist.
Nicht jeder, der übergewichtig ist, ist krank, jedoch geht Adipositas einher mit kurzfristigen und langfristigen gesundheitlichen Problemen für Mütter und ihre Kinder.

Adipöse Frauen haben ein erhöhtes Risiko einer Schwangerschaftsdiabetes sowie einer medizinischen Intervention während der Geburt wie z.B.: Einleitung, Epiduralanästhesie und Kaiserschnitt. Diese Interventionen können das Stillen für Mutter und Baby erschweren. (2)
Für die Mutter bedeutet die Erholung nach einem Eingriff: in ihrem Körper ist die zusätzlich zugeführte intravenöse Flüssigkeit gespeichert. Das kann zu Unwohlsein und schmerzhaft geschwollenen Brüsten führen, was das richtige Anlegen und Andocken erschweren kann. Narkotika während der Geburt können das Baby schläfrig machen, dadurch ist es nicht munter genug um richtig und effektiv zu saugen. Babys, deren Geburt eingeleitet wurde oder die zu früh auf die Welt gekommen sind, sind nach der Geburt oft auch schläfrig, da sie noch nicht „fertig gebacken“ sind.
Übergewichtige Mütter leiden häufiger an PCOS (polyzystisches Ovarial-Syndrom), metabolisches (Stoffwechsel-)Syndrom und an Erkrankungen der Schilddrüse. Jede einzelne dieser Krankheiten kann zu Schwierigkeiten bei der Milchbildung führen
Wenn Stillen so eine Herausforderung ist, wieso sollte sich eine Mutter damit plagen?

Stillen ist wichtig für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Babys und seiner Eltern, vor allem aber für übergewichtige Mütter. Stillen verbessert den mütterlichen Blutzucker- und den postpartalen Insulinspiegel. Nichtstillen verhindert die natürliche Rückbildung der physiologischen schwangerschaftsbedingten Veränderungen der Frau.
Stillende Mütter haben ein geringeres Risiko Typ 2 Diabetes zu bekommen. Stillende Mütter mit Schwangerschaftsdiabetes haben einen verbesserten Blutfett- und Blutzuckerstoffwechsel während der ersten drei Monate nach der Geburt. Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes, die stillen, haben bessere Blutzuckerwerte beim Glukosetoleranztest sechs Wochen nach der Geburt.
Mütter, die nie gestillt haben, verfügen über mehr Viszeral-(Bauch-)Fett, als Mütter, die drei Monate oder länger gestillt haben. Diese haben den gleichen Anteil an Viszeralfett, wie Frauen, die nie schwanger waren. Sieben Jahre nach der Geburt war das Bauchfettdepot bei Müttern, die nur drei Monate oder weniger nach der Geburt ihrer Kinder gestillt hatten, signifikant höher. (3)
Stillen reduziert auch das Risiko von kindlicher Adipositas. Der Beginn der Brustentwicklung beginnt bei Mädchen mit einem höheren BMI (Body Mass Index) früher, und das erhöht das Risiko des Mädchens im Erwachsenenalter an Brustkrebs zu erkranken. Übergewichtige Kinder haben ein erhöhtes Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen, Typ 2 Diabetes, Atemproblemen und ein geringeres Selbstwertgefühl (4).
Wie kann sich eine übergewichtige Mutter auf das Stillen vorbereiten?

Auf die gleiche Art und Weise wie jede Mutter, die plant ihr Kind zu stillen: Bildung und Planung sind der Schlüssel.
Stillen ist ein erlerntes Verhalten. Der Besuch von La Leche Liga Stillgruppen (Österreich: www.lalecheliga.at, Deutschland: www.lalecheliga.de, Schweiz: www.lalecheleague.ch) kann werdenden Eltern helfen, sich Wissen über das Stillen anzueignen.
Das Geburtserlebnis beeinflusst den Stillstart. Eine wache und aktive Teilnahme der Mutter bei der Geburt wirkt sich positiven auf den Stillbeginn aus. Die Erstellung eines Geburtsplans hilft. Diese Vorlage bestärkt Eltern, bewusste und gut informierte Entscheidungen hinsichtlich der Geburt ihres Kindes zu treffen. Eine andere Art der selbstbestimmten Geburt ist die Unterstützung durch eine Doula. Eine von einer Doula unterstützte Geburt reduziert das Risiko von Interventionen während der Geburt.
Sobald das Baby auf der Welt ist, braucht es Haut-zu-Haut Kontakt. Das Baby kennt seine Mutter, ihren Duft, ihre Stimme. In den Armen seiner Mutter findet das Baby instinktiv den Weg zur Brust.

Übergewichtige Frauen haben meist auch größere Brüste. Das kann – vor allem in den ersten Tagen – eine Herausforderung sein. Was helfen kann ist zum Beispiel ein zusätzlicher Polster für das Baby, eine zusammengerollte Stoffwindel oder ein Waschlappen unter der Brust platziert, um diese etwas zu heben, erleichtert dem Baby, die Brustwarze zu fassen und es hilft auch der Mutter zu sehen, wo das Baby in Relation zu ihrem Körper ist.
Manchmal ist das Baby noch sehr klein und es hat Schwierigkeiten, die Brust zu fassen bzw. effektiv und länger zu saugen Wenn sich das Baby nicht andockt, kann die Mutter in den ersten Tagen die Milch per Hand ausstreichen. Sollte das Baby auch danach noch nicht in der Lage sein, sich anzudocken und zu saugen, kann die Mutter dies auch weiterhin tun bzw. mit einer Milchpumpe die Milchproduktion steigern, um ihrem Baby so ihre Milch zu geben.
Julia Kaplan Schilling, die ihr Kind vor einigen Jahren abstillte, erzählt:
“Bei Elis Geburt wog ich 135kg. Ich hatte nie eine normale BH Größe. Ich glaube, während meiner Stillzeit trug ich 42GG. Mein Übergewicht erschwerte das Stillen. Aber ich war begeistert, als ich mit vier Monaten – während einer achtstündigen Reise – entdeckte, dass ich meinen Sohn in seinem Kindersitz lassen und mich zum Stillen einfach nur zu ihm hinüber beugen konnte, und ihn nicht jedes Mal aus dem Sitz nehmen musste. Der beste Weg, wie wir als Nation unsere chronische Adipositas in den Griff bekommen, ist, das Stillen zu fördern.”
Vanessa aus New York meint:
“Ich hatte immer schon meine Kurven. Ich bin eine Latina und ein gewisses Maß an Körperfülle ist in meiner Kultur üblich. Bevor ich schwanger wurde, praktizierte ich täglich Yoga, ernährte mich gesund und fuhr überall mit dem Rad hin. Ich war fit und gesund. Ich fühlte mich in meinem Körper wohl, wurde aber bei jedem Arztbesuch darauf hingewiesen, dass ich übergewichtig sei. Ich hatte aufgrund meines Übergewichts keine Schwangerschaftskomplikationen, jedoch wurde meine Morgenübelkeit von den Ärzten nicht ernst genommen und so landete ich zweimal dehydriert im Krankenhaus. Gott sei Dank hatte ich auch keine Stillprobleme aufgrund meines Übergewichts. Als wir den Dreh heraußen hatten, war das Stillen das Schönste am Muttersein. Ich habe meinen Sohn gestillt, bis er drei war und meine Tochter wurde gerade ein Jahr alt. Ich sollte wirklich eine paar Pfunde verlieren und in Wirklichkeit bin ich adipös. Für einige Mütter ist es einfach, während der Stillzeit Gewicht zu verlieren, aber für mich ist es schwer. Ich versuche einfach, mich und mein Kind so zu lieben wie wir sind und ich werde mein Gewicht in Angriff nehmen, wenn sich meine Tochter abgestillt hat.”
Ausgewogene Ernährung

Eine normale Gewichtsreduktion während der Stillzeit ist möglich. Siehe „Eat Well Lose Weight While Breastfeeding“
Mit gesunder und ausgewogener Ernährung ist man für seine Familie ein gutes Beispiel: Die Ernährung stillender Mütter. Achte darauf was du isst. Nimm nährstoffreiche gesunde Nahrung zu dir. Achte auf deinen Flüssigkeitshaushalt. Trinke Wasser und Kräutertees, vermeide Limonaden und andere zuckerhaltige Getränke. Deine Kinder werden deinem Bespiel folgen.
Modediäten oder Saftdiäten sind nicht zu empfehlen, aber ein paar Pfunde pro Woche zu verlieren ist ungefährlich. Ein starker Gewichtsverlust kann zu einer Milchreduktion führen. (5)
Bau dir ein gutes Netzwerk an Helfern und Unterstützern auf. Wenn Menschen aus deinem Umfeld dir helfen möchten, sollen sie dir gesunde Mahlzeiten zubereiten bzw. dir kleine Imbisse für die Stillmahlzeiten vorbereiten.
Adipositas muss kein Hindernis beim Stillen eines Babys sein.
Referenzen

- Vahratian, A. Prevalence of Overweight and Obesity among Women of Childbearing Age. Results from the 2002 National Survey of Family Growth Matern Child Health J. 2009; 13(2): 268–273.
- Lothian, J. The Birth of a Breastfeeding Baby and Mother J. Perinat Educ. 2005; 14(1): 42–45.
- McClure, C. et al. Maternal Visceral Adiposity by Consistency of Lactation Matern Child Health J. 2012; 16(2):10.
- Armstrong, J.et al. Breastfeeding and lowering the risk of childhood obesity The Lancet 2002; 359 (9322):2003–2004.
- Dewey, K. Effects of maternal caloric restriction and exercise during lactation, J. Nutr. 1998 Feb;128(2 Suppl):386S-389S.
Leigh Anne O’Connor ist La Leche Liga Beraterin und freiberufliche IBCLC. Sie lebt mit ihrem Mann Rob und ihren drei hübschen Kindern in New York City.